Artur Märchen - mein Lebenslauf
  Ich bin ein Usinger (Schlesier) aus Grünberg. Das ist die Stadt, wo der Sage nach der Wein die Löcher im Strumpf zusammenzieht.
   Aufgewachsen bin ich in Berlin-Kreuzberg - SO 36. Ich habe während des Krieges die Volksverdummungsschule besucht und war ein miserabler Schüler.
  Nach dem "Endsieg" war ich zunächst einmal ein halbverhungerter Niemand, bis ich in die Obhut einer frommen Familie gelangte. Von jetzt an hieß es, jeden Tag den lieben Gott wegen Brotmarken beknien und von 8.00 bis 12.00 Hosianna singen. Das war nach meinen musikalischen Eltern, welche immer zum Wochenende bei Wein und Deibelsgeige ihre Küchenlieder geschallert haben, mein zweiter Kontakt mit Volksmusik. Erstgenannte heilige Familie entdeckte auch in mir den Maler, und ich wurde genötigt, ständig Christusse zu zeichnen.
   Aber irgendwann bin ich da wohl mal witzigerweise etwas zu sehr ins Detail gegangen und wurde des Satans verdächtigt. Man holte einen Exorzisten. Kurzum: Als ich dem Pfaffen den Teufel austreiben wollte, trieb man lieber mich aus.
   Von nun an habe ich, um zu überleben, allerhand Faxen gemacht. Vom Wachturmverkäufer bis zum Grimassenschneider war alles drin:
  - Matrose war ich.
  - Karussellmaler war ich.
  - Kneipenmusiker war ich.
  - 2 x mit ner dummen Frau verheiratet war ich auch.
Bisweilen stand ich auch mit der Ziehharmonika vorm Puff und hab' Leute reingelockt, vor allem im Winter. Fast niemals habe ich einen Job abgelehnt, gleich was es war:
  - Gedichte schreiben
  - Orgeln reparieren
  - Bilder malen, um sie per Bauchladen zu verhökern,
und so weiter. Fragte man mich:
  "Bist Du Tischler ?" antwortete ich: "Ja."
  "Bist Du Uhrmacher ?" - "Ja."
  "Bist Du Schuster ?" - "Ja."
   Das war meine Lehrzeit. Dieses System entstammt von Till Eulenspiegel und ist sehr nützlich.
  Für Fabrikarbeit war ich nicht geeignet. Da konnte man nicht mal zum Kackhaus gehen ohne beobachtet zu werden. Als ich einmal von der Toilette kam, stand der Meister neben der Maschine und sagte: "Komisch, immer, wenn ich komme, sind Sie scheißen." - "Nee, das ist anders", habe ich gesagt, "immer wenn ich scheißen bin, kommen Sie."
  Bums, da hatte ich meine Papiere und bin dann lieber nachts mit meiner Mandoline durch die Kneipen gezogen, habe Lieder gesungen und Spinngeschichten erzählt, von denen die Leute nie wussten, ob sie wahr waren oder nicht, und habe so auf ehrliche Weise Schnurrealismus betrieben.
   Damit habe ich mir dann auch in Berlin in der Kneipe "Zum Leierkasten", Inhaber Kurt Mühlenhaupt, den Spitznamen "Märchen" eingehandelt.
Die Wirtin Rosi hatte mir diesen verpasst und ich war ganz froh darüber, denn meine richtigen Namen kannte Gott sei Dank keiner, getreu dem Grundsatz: "Meinen Namen sollst Du nie erfahren, ich bin der Berggeist Rübezahl."
   Und damit wären wir im Jahre 1962 angelangt.
   Nun beginnt ein neuer Abschnitt.
   Eigentlich hatte ich niemals vor, mit meinen Bildern bekannt zu werden. Aber hier in allzuenger Bürgernähe gab es für einen ehemaligen Landläufer nicht mehr genügend Freiraum für seine lebensnotwendigen Späße.
Da fiel mir der Spruch von Wilhelm Busch ein: "Schmeiß Dich auf die Malerei, vielleicht verdienst Du was dabei."
  So habe ich dann meine Bilder einfach in der Kneipe "Zum Alten Fritz", damals Zimmerstraße 47, aufgebammelt. Kurt Mühlenhaupt und Texas-Willi waren die ersten Kunden. Kurt Neuburger der Literat der ersten Stunde und Sonnenstern später der Begutachter. Hier eine Kritik mit seinen Worten: "Arturchen, nach mir bist Du der Jreeßte."
   Übrigens, meinen heutigen Malstil verdanke ich dem Umstand, daß mir irgendwann der Naturalismus auf den Wecker ging. Als ich gerade mal einen betuchten Kunden malen sollte, verulkte ich das Portrait auf meine Weise und siehe da, es wurde surrealistisch.
   Eigentlich kann ich jetzt aufhören zu erzählen, denn was jetzt anfängt, hat Robert Wolfgang Schnell bereits in seinem Bestseller "Geisterbahn" niedergeschrieben; oder man kann ja auch ein paar bekannte Berliner fragen, z.B. Aldona Gustas, Jürgen Beckelmann, Jule Hammer, Mühlenhaupt, "Max und Moritz" oder einfach die Leute im Kiez.
  Sie sind genau betrachtet ein verschlüsselter Rückspiegel meiner Vergangenheit oder, besser gesagt, die Illustration meiner ungeschriebenen Geschichten, jedoch spuken sie bereits durch alle Lande - so wie früher ich selbst.
Märchen, 1982 Â
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Zum Diaporama ...
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